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Widerstand und Ergebung – Dietrich Bonhoeffer

Widerstand und Ergebung, Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, von Dietrich Bonhoeffer, wurde in Deutschland 1951 vom Kaiser Verlag in München herausgegeben.
Das Buch wurde von seinem Freund und Biographen Eberhard Bethge an Hand der Briefe erstellt, die Bonhoeffer im Berliner Gefängnis Tegel geschrieben hatte.

Bonhoeffer, ein deutscher Pfarrer im Widerstand gegen den Nazismus

Dietrich Bonhoeffer (4.2.1906 – 9.4.45) ist ein deutscher lutherischer Theologe und ein Pastor der Bekennenden Kirche. Diese Kirche lehnt jedes Verhältnis zwischen Christentum und Nazismus ab. Schon bei Hitlers Machtergreifung 1933 nimmt sie Stellung gegen dieses politische Regime ein, wegen der Ausschlussmassnahmen, die den Juden jede Anstellung in der Verwaltung versagen.
1938 schliesst er sich heimlich dem Widerstandsnetz des Admirals Wilhelm Canaris an, des Leiters des damaligen Gegenspionagediensts des deutschen Heers. Öffentlich als Agent der Gegenspionage reist er in die Schweiz und nach Schweden, um die Allierten über das Bestehen eines Widerstands gegen Hitler zu informieren, jedoch ohne Erfolg.
Im April 1943 wird er unter dem Vorwand verhaftet, durch seine Reisen dem Wehrdienst entkommen zu wollen, und ins Berliner Gefängnis Tegel bis Oktober 1944 gesperrt. Hätte sein Prozess früher stattgefunden, hätte er befreit werden können.
Nach dem Scheitern des Attentats vom 20. Juli 1944 werden in Canaris’ Gegenspionagearchiven geheime Akten entdeckt, die vom Widerstand gegen Hitler zeugen, mit Namen von Teilnehmern, worunter Canaris und Bonhoeffer.
Er wird in ein Gestapogefängnis überführt und dann in verschiedene Konzentrationslager verschleppt. Am 9. April 1944 wird er im Lager von Flossenbürg in Bayern mit anderen Mitgliedern des Canarisnetzes hingerichtet.
Wir möchten Widerstand und Ergebung in thematischer Betrachtungsweise nach drei Richtungen untersuchen:
1. Leiden und Würde eines Häftlings,
2. Beschränktes aber tatkräftiges Zusammenleben,
3. Philosophische und theologische Überlegungen eines über seine Zeit und die Beziehungen des Menschen zu Gott hellsichtigen Christen
Es werden auch einige Anspielungen auf die Ethik und auf Gemeinsames Leben gemacht.

Leiden und Würde eines politischen Häftlings

Seit dem 5. April 1943 in Tegel eingesperrt, orgnisiert Bonhoeffer sein Leben in seiner Zelle. Er bemüht sich, sein psychisches Gleichgewicht durch einen täglichen Zeitplan aufrechtzuerhalten, den er im Brief von 13. Oktober 1943(1) ausführlich angibt. Da wendet er wahrscheinlich das Muster und die Grundsätze von “Ein Tag des Gläubigen” aus Gemeinsames Leben an(2).
Wenn Christen in einer schon auf Erden sichtbaren Gemeinschaft leben können, so ist das nur eine Vorwegnahme des kommenden Reichs. Gefangene, Kranke, vereinsamte Prediger in der Mission leben allein. Und trotzdem ergreifen sie im Glauben, was ihnen als Erfahrung versagt wird. Das Leben unter Christen ist ein Geschenk von Gottes Reich, das uns jeden Tag weggenommen werden kann und wir können von einem Augenblick auf den anderen in eine vollständige Einsamkeit gestürzt werden(3).

Anpassung an die Einsamkeit durch Andacht und Gebet

Er stellt sich auf seine erzwungene Einsamkeit um: Erkennst du deine Einsamkeit nicht an, so verwirfst du den Aufruf, den Christus an dich persönlich richtet(4). Er schickt sich in seine Lage(5): Uns bleibt nun eben gar nichts übrig, als im Vertrauen darauf, dass jeder zur beschleunigten Klärung tut, was er kann, mit möglichst viel Geduld zu warten und nicht bitter zu werden(6). Durch eine tägliche Andacht(7) und das persönliche Gebet(8) hat die stille Zeit Gottes Wort erfolgreich so tief ins Herz des Gläubigen geführt, dass es ihn den ganzen Tag hindurch(9) unterstützen und stärken kann. Er liest die Bibel und sinnt über sie nach, er sagt sich Paul Gerhardts Lieder auf, eines deutschen Liederdichters aus dem 17. Jht.(10)

Dankbarkeit für die kleinen Freuden

Sobald er schreiben darf, beruhigt er seine Eltern: er verfügt über seine Bibel, die ihm nach drei Tagen zurückgegeben wurde, über Zeitungen,.. über Bücher aus der Bibliothek, über Briefpapier(11) Er spricht von den gelesenen Büchern, von Stifter, dessen sympathische Personen wohltuend wirken(12). Gerührt erinnert er sich an die glückliche Vergangenheit, an Sommerabende, an Familienfeste(13)…; er bedankt sich für einen Tag, der… Briefe gebracht hat(14).
Es ist eine seltsames Gefühl, vollständig… von der Hilfe anderer abhängig zu sein. Aber solch eine Lage lehrt einen, dankbar zu sein… Nur Dankbarkeit bereichert eine Existenz(15).

Schwierigkeiten der Unsicherheit

Aber seine Einsamkeit als Häftling und vor allem die Unsicherheit über das Kommende sind weit schmerzlicher als er es zugibt. Seine Ungeduld wegen der Verspätungen und Vertagungen seines Prozesses schreibt er seinem Verlangen zu, sein Leben zu organisieren:

Es wäre mir lieber, man sagt uns von vorn herein, wie lange die Haft wahrscheinlich dauern wird. Ich hätte meine Arbeit ganz anders einrichten können und sie damit fruchtbarer machen können(16).

Aber er bedauert es praktisch sofort:

Beim Durchlesen dieses Briefs fällt mir ein unzufriedener Ton auf. Das war nicht meine Absicht und entspricht auch der Wirklichkeit nicht. So sehr ich von hier heraus möchte,so genau weiβ ich, dass kein einziger dieser Tage verloren ist(17).

Zwischen dem Wechselbad der Hoffnung (Meine Lage scheint in Bewegung zu kommen und das erfreut mich)(18)  und der Enttäuschung (Es geht mir über mein Begriffsvermögen, dass man mich möglicherweise noch über Weihnachten hier sitzen lassen will)(19) wegen der Hinauszögerungen:

Wenn man dir fest versichert, dass deine Strafsache im Juli 1943 abgeschlossen sein wird, dann spätestens im September 1943, und wenn die Monate vergehen, ohne dass etwas geschieht, da fällst du schliesslich, trotz aller Gedulds- und Verständnisbemühungen, in einen Zustand in dem man besser keine Briefe schreibt(20). Er sagt seinen Dank für die Erziehung in der Familie, die ihn auf solche Unstände vorbereitet hat. Erst in solch einer Zeit erkennt man den Wert einer Vergangenheit und eines inneren Erbes, die weder von der Veränderungen der Zeit noch von den Umständen abhängen(21).

Er lehnt sowohl Selbstmitleid wie Mitleid von anderen ab:

Ich wehre mich innerlich dagegen, wenn ich in Briefen… Wendungen lese, die von meinem “Leiden” sprechen… Man darf die Lage nicht dramatisieren… Natürlich ist hier vieles scheuβlich, aber wo ist es das nicht(22)?

Sehnsucht

Und dennoch entweicht ihm am 15. Mai 1943(23) die verhaltene Sehnsucht:

Auf einmal werden Friede und Gelassenheit erschüttert, “ – wie durch den Einbruch böser Mächte” “und das Herz wird… das trotzige und verzagte Ding, das man nicht ergründen kann(24).

Wie sehr fehlt ihm da, in der eisigen Stimmung der Haft, die Wärme, die einem von der Liebe einer Frau und einer Familie zukommt(25).

Kurz vor seiner Verhaftung hatte er sich mit Maria von Wedemeyer verlobt und er verzeichnet ihre Besuche mit einem unauffälligen M(26).

Er entschuldigt sich mit viel Zurückhaltung bei seinem Freund, einige Gedichte zu schreiben… alles… in kaum einigen Stunden und ohne Umarbeitung.… Ich werde eventuell solche Wallungen verdrängen und meine Zeit nützlicher zubringen(27). In seinem Gedicht “Vergangenheit”(28), das er nach kurzen Besuchen gefolgt durch eine lange Trennung(29) dichtete, lässt er die Gefühle ausbrechen, die noch nie frei zum Ausdruck gekommen waren:

Du gingst, geliebtes Glück und schwer geliebter Schmerz.
Wie nenn’ ich dich? Not, Leben, Seligkeit?
Teil meiner selbst, mein Herz, – Vergangenheit?
Es fiel die Tür ins Schloss,
ich höre deine Schritte langsam sich entfernen und verhallen.
Was bleibt mir? Freude, Qual, Verlangen? 
Ich weiss nur dies: du gingst und alles ist vergangen…

Tiefe Not

Seinem Freund vertraut er auch die tiefe Not seiner wirklichen Lage an: …

Trotz allem, was ich so geschrieben habe, hier ist es scheuβlich, … grauenhafte Eindrücke verfolgen mich… ich kann sie nur durch Aufsagen unzähliger Liederverse verwinden… und das Aufwachen beginnt mit einem Seufzer statt mit einem Lob Gottes… Ich habe das Gefühl, ich werde durch das, was ich sehe und höre, um Jahre älter und die Welt wird mir oft zum Ekel und zur Last(30)

Im Bericht der ersten Hafttage beschreibt er sie genauer: eine Zelle mit stinkenden Decken, ein Stück zu Boden geworfenes Brot, Beschimpfungen und Spott, weder Briefe, noch Besuche oder Ausgang(31)…

Haben ihn Selbstmordgedanken angefochten? Darauf spielt er in seinem ersten Brief an Eberhard Bethge an:

Ich bin in diesen Tagen von allen schweren Anfechtungen bewahrt worden. Acedia tristitia (bittere Traurigkeit) mit ihren bedrohlichen Folgen hat mir oft nachgestellt. Mit Entschlossenheit habe ich sie zurückgewiesen. Aber ich habe mir von Anfang an gesagt, dass ich weder den Menschen noch dem Teufel diesen Gefallen tun werde; dies Geschäft sollen sie selbst besorgen, wenn sie wollen; und ich hoffe immer dabei bleiben zu können und mir keine Frage zu stellen, die keine Antwort bekommt, wenn es wirklich um Christi Sache geht. Es ist klar, dass sein Auftrag gerade darin besteht, eine zwielichtige Situation hinzunehmen(32).

Wohlbedachte Wahl

Darauf wird er später nicht mehr anspielen. Er steht voll zu seinen Entscheidungen.

Die Sache, für die ich verurteilt werden würde, ist so einwandfrei, dass ich nur stolz darauf sein dürfte(33). Du musst übrigens wissen, dass ich keinen Augenblick meine Rückkehr 1939 bereut habe(34), noch irgend etwas von dem, was dann folgte. Das geschah in voller Klarheit und mit bestem Gewissen… Und dass ich jetzt sitze,… rechne ich auch zu dem Teilnehmen an dem Schicksal Deutschlands(35).

Fortsetzung folgt

Eberhard Bethge (Theologe)

und theologisch ungemein einflussreichen Briefe aus der Haft (Widerstand und Ergebung, 1951). In den 60er Jahren begann er dann, eine groß angelegte

Wilhelm Canaris

Konzentrationslager Flossenbürg zum Tode verurteilt und gehängt. Wilhelm Canaris wurde als Sohn des Ingenieurs Carl Canaris, Technischer Leiter der

Bekennende Kirche

Die Bekennende Kirche (BK) war eine Oppositionsbewegung evangelischer Christen gegen Versuche einer Gleichschaltung von Lehre und Organisation der Deutschen

C.S.

Fussnoten
1 Widerstand und Ergebung, 4. Juni 1943, S. 38.. Alle Seitenangaben nach Siebenstern
2 Gemeinsames Leben.
3 Ibidem
4 Ibid.
5 Widerstand und Ergebung, 5. Mai 1943, S. 28.
6 Ibid., 14. Juni 1943, S. 39.
7 Gemeinsames Leben
8 Ibid.
9 Ibid.
10 Widerstand und Ergebung, 14. April 1943, S. 26.
11 Widerstand und Ergebung
12 Ibid., 4. Juni 1943, S. 38.
13 Ibid., 3. Juli 1943, S. 42
14 Ibid., 13. September 1943, S. 49.
15 Ibid., 13. September 1943, S. 49.
16 Ibid., 25. September 1943, S. 51.
17 Ibid., 25. September 1943, S. 51.
18 Ibid., 22. Oktober 1943
19 Ibid., 17. Dezember 1943, S. 57.
20 Widerstand und Ergebung, 20. Februar 1944
21 Ibid., 7. Dezember 1943
22 Ibid., 9. März 1944, S. 119.
23 Hochzeitstag seines Freunds und späteren Biographen Eberhard Bethge mit seiner Nichte Renate Schleicher.
24 Widerstand und Ergebung, 15. Mai 1943, S. 30.
25 Ibid., 14. Juni 1943, S. 39
26 Ibid., 5. Mai 1943, S. 25. Dezember 1943, S. , 4. Februar 1944, S. 207
27 Ibid.
28 Ibid., S. 210.
29 Widerstand und Ergebung, 5. Juni 1944, S. 157.
30 Ibid., 15. Dezember 1943, S. 89.
31 Ibid., Haftbericht, S. 64.
32 Widerstand und Ergebung, 18. November 1943, S. 70.
33 Ibid., 18. November 1943, S. 72.
34 In New York, wo er nur 14 Tage verbracht hat, da er lieber das Schicksal seiner Mitbürger teilen wollte.
35 Widerstand und Ergebung, 22. Dezember 1943, S. 98.