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Widerstand und Ergebung : Überlegungen eines hellsichtigen Christen

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Philosophische und theologische Überlegungen

In den Überlegungen seines Buches „Widerstand und  Ergebung“ , mit dem Titel « 20 Jahren später» versucht Bonhoeffer  die unsinnige Lage Deutschlands in seiner Zeit zu erklären. Ohne Namen anzugeben, macht er Anspielungen klar genug, um verstanden zu werden. Sie werden manchmal Wort für Wort in seiner Ethik gefunden.

Die Werte sind durcheinander gebracht. Der Stärkere – die Nazipartei an der Macht – befiehlt und der gefügige Mensch – Deutsche sind bekannt für ihren Sinn für Disziplin – ist bereit, selbst dem Teufel in Person zu gehorchen, d.h. Hitler und seinen Komparsen (1).
Wer widersteht, ist bereit, einer gehorsamen und verantwortlichen Handlung (2) alle seine Werte aufzuopfern, weil Gott allein ihn dazu berufen hat, auch wenn sich dieser Gehorsam der auferlegten Ordnung widersetzt, und das Gleichgewicht finden muss zwischen Skrupellosigkeit und Gewissenhaftigkeit oder selbstquälerischer lähmender Skrupelhaftikeit (3). Gott fordert eine verantwortungsvolle Tat im freien Glaubensrisiko und er schenkt seine Vergebung dem, der sich durch diese selbe Tat versündigt (4).
Die Verschwörergruppe, worunter einige die höchsten Stellen im Staat bekleideten und wovon mehrere Glieder zu Bonhoeffers Familie und Freunde (5) gehörten, bereiteten gegen Hitler die Attentate vor, die leider alle scheiterten. Über die Menschen hinaus leitet der Herr die Geschichte und schafft Gutes aus dem Bösen (6). Was soll man aber tun, wenn das Böse die Oberhand gewinnt ?

Gefahren der Dummheit und des Konformismus

Dann hebt Bonhoeffer die Gefahren der Dummheit hervor, einer besonderen Form der Einwirkung bestimmter geschichtlicher Umstände auf den Menschen. Aus Konformismus führt diese Dummheit zu jedweder schlechten Handlung : der Volksabstimmung, die die Machtübernahme durch die Nazipartei veranlasste, dem Antisemitismus aus Feigheit oder als Mitläufer

Die Macht der einen braucht die Dummheit der anderen… Dadurch können Menschen für immer zugrunde gerichtet werden (7). Ein äusserer Befreiungsakt ist da notwendig und dafür braucht man die Meinung der anderen nicht. Für den verantwotrlich Denkenden und Handelnden ist diese Frage überflüssig.
Es gehört zu den erstaunlichsten, aber zugleich unwiderleglichsten Erfahrungen der immanenten Gerechtigkeit, dass das Böse sich oft in einer überraschend kurzen Frist als dumm und unzweckmässig erweist.(8) Es ist unumgänglich, die das Menschenleben leitenden Gesetze zu beachten, ausser notwendiger Einzelfälle (9).

Das könnte eine Anspielung auf die Euthanasie- und Sterilisierungsgesetze sein , die das Naziregime gegen die Behinderten verkündete (10).

Für Bonhoeffer ermöglicht das Zusammenwirken von Gebet und Tat, dass die in schwierigen Lagen unentbehrlichen Menschen an die höchsten Staatsverantwortungen gelangen können.

Abstand wahren

Um ein Durcheinander in den Werten zu vermeiden, fordert Bonhoeffer die Christen auf, Abstand zu wahren in einer Zeit, in der Vertreter aller Gesellschaftsschichten pöbelhaft (gemein) werden und in der ein Adel aus Menschen aller Schichten (11) durch Mut weiterbesteht, durch Achtung seiner selbst und der anderen, Bescheidener und Vornehmer (12), durch Streben nach Qualität als Gegenmittel gegen Verpöbelung.

Der Christ als Werkzeug in der Hand des Herrn der Geschichte

Dem Leiden gegenüber ist eine passive Einstellung nicht christlich, selbst wenn man nicht für alles Elend in der Welt verantwortlich ist. Wir sind Werkzeuge in der Hand des Herrn der Geschichte (13). Seidem Krieg ist, ist uns der Gedanke des Todes vertraut, ist unser Leben zerbrochen und dennoch kann der Tod uns nicht überraschen.

Für viele führt heute die Unmöglichkeit, etwas für sein Leben zu planen, in verantwortungslose Verkommenheit oder in die Ausflucht der Träumerei.

Denken und Handeln im Blick auf die kommende Generation, … das ist die Haltung, die tapfer durchzuhalten ist (14) , eine Hoffnungskraft, um die Zukunft nicht dem Feind preiszugeben, sondern sie für sich zu fordern(15).

Aufruf zur Reife

Diese Ansicht wird Bonhoeffer in zwei Briefen von 1944 ausarbeiten. Darin fordert er für die kommende Generation die Reife, die darin besteht, sein Schwergewicht da zu haben, wo man sich gerade befindet und aus den unerfüllten Wünschen kein Hindernis für sich und für die anderen zu machen. Ein Leben kann auch trotz vieler unerfüllter Wünsche erfüllt sein (16).

Die Welt in Gottes Hand

Wenn auch der Krieg, der nachts das tagsüber gebaute im eigentlichen und im übertragenen Sinn zerstört, das Dasein gestaltlos und lückenhaft macht, selbst wenn man seine Zukunft nicht mehr auf die Gewissheiten der Vergangenheit bauen kann (17) , selbst wenn man nicht mehr im voraus sicher weiss, welches Ergebnis irgend eine Tat bringen wird, wird diese Generation durch Entbehrungen, Leiden und Geduldproben (18) entdecken müssen, dass die Welt in Gottes Hand liegt und dass sie sich damit wird begnügen müssen, ihre Seele lebendig zu erhalten, sie aus dem Chaos zu erretten wie aus einem brennenden Haus, während alle Lebensgüter zusammenbrechen (19).

Diese prophetischen Worte wurden durch die Invasion der allierten Truppen erfüllt, sowie durch den Zusammenbruch des Hitlersegime, der in einer absichtlichen Apokalypse die schreckliche Zerstörung der lebenswichtigen Einrichtungen des Landes und den Tod eines grossen Teils der Bevölkerung mit sich brachte.

Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein

Sie wurden aber auch mit den darauffolgenden Generationen erfüllt, deren einige Eliten wahrscheinlich das neue geforderte Verhältnis zwischen Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein entdeckt haben (20) .

Durch ihre Erkenntnis ihrer Verantwortung oder ihrer gemeinsamen Feigheit, sowie der Schuld ihrer Leiter in der Nazizeit (21) haben sie auf gesunden Grundlagen das wieder aufbauen können, was in einem unwiderbringlichen Verfall verloren schien. Bis heute hat sich Deutschland wirtschaftlich und gesellschaftlich wieder aufgebaut und vielleicht noch besser als die anderen.

Es gab aber auch kindische und ichbezogene Gebaren.

In seiner Umgebung bemerkt Bonhoeffer auch Leute, die sich an ihre Wünsche klammern, … die für andere Menschen nichts sind (22) und sich ganz kindisch und ichbezogen benehmen :

Ich beobachte hier immer wieder, dass es so wenige Menschen gibt, die viele Dinge gleichzeitig in sich beherbergen können ; wenn Flieger kommen, sind sie nur Angst ; wenn es etwas Gutes zu essen gibt, sind sie nur Gier ; wenn ihnen ein Wunsch fehlschlägt, sind sie nur verzweifelt ; wenn etwas gelingt, sehen sie nichts Anderes mehr. Sie gehen an der Fülle des Lebens und an der Ganzheit einer eigenen Existenz vorbei (23).

Wie steht es mit diesen Leuten – und dabei muss man an die gesamte westliche Welt denken – die ihr ganzes Dasein auf ihre Wünsche ausrichten und die gedankenlos aus dem Elend in den Materialismus der sechziger Jahre hinüberglitten ?

Welche Wortverkündigung ?

Wie kann man das Wort in einer Welt – in Deutschland – verkündigen, wo viele nicht mehr Gott, sondern eine Staatsreligion sahen, die unter einer Decke mit einer zerstörerischen Ideologie in den Händen einer Unterdrückermacht steckte ? In Deutschland hatte sich die Religion in Verruf gebracht und in der Widerstandsbewegung hatte Bonhoeffer auch Menschen getroffen, die sich für eine gerechte Sache einsetzten und keine Christen waren.

Christentum und Christus heute

So stellt er also die Frage, was das Christentum und wer Christus heute (24) für uns sind… Er unterscheidet zwischen Christus und der Religion.

Gibt es Christen ohne Religion ? Was ist religionsloses Christentum ? Wie können wir eine ecclesia (Kirche) bilden, ohne uns als geistlich Gerufene, Privilegierte anzusehen, oder vielmehr als voll zur Welt gehörend (25)?

Er antwortet, dass Christus dann nicht Objekt der Religion sein wird, sondern wirklich der Herr der Welt (26).
Er bleibt in einer tiefen Verbindung mit Christus, sein Glaube ist ganz christusbezogen :
Es kommt wohl alles auf das « in Ihm » an. Alles, was wir mit Recht von Gott erwarten, erbitten dürfen, ist in Jesus Christus zu finden… Ein Gott, so wie wir ihn uns denken, damit hat der Gott Jesu Christi nichts zu tun (27).

Ablehnung eines Lückenbüssergottes und der magischen Religion

Dieser erdachte Gott ist der Gott der noch unvollständigen Erkenntnis, des unerfüllten Wunschs der Menschen, ein Lückenbüssergott, der an die Grenzen der menschlichen Kenntnisse verdrängt wird
In dem, was wir erkennen, sollen wir Gott finden, nicht in dem, was wir nicht erkennen (28).

Gott wil nicht in unseren Frustrationen, in unseren Fehlschlägen, in unseren Sünden erkannt werden, sondern wenn alles für uns gut geht und wir nicht einmal daran denken, ihm zu vertrauen, weil wir glauben uns selbst genügen zu können. Wir dürfen ihn nicht an die Grenzen unserer ungelösten Fragen wegschieben. Gott lässt sich nicht in eine Gleichung stecken, die man verschwinden lässt, indem man sie löst, wie menschliche Probleme, die durch den Fortschritt gelöst werden. Es wird immer mindestens eine Unbekannte übrig bleiben.

Das erklärt Bonhoeffer, indem er es ableht, dass man Gott irgendwo hereinschmuggelt und fordert, dass man die Mündigkeit der Welt anerkennt (29). Er lehnt magische Religion ab, die nur in Krisenzeiten angeboten wird, um Probleme zu lösen.

Der Christ in Gottes Hand

Vom Christen fordert er, nicht ein homo religiosus (religiöser Mensch) zu sein, sondern vielmehr ein Mensch schlechthin, wie Jesus einer war,…

der völlig darauf verzichtet hat, etwas aus sich selbst zu machen, um in der Fülle der Aufgaben … und der Ratlosigkeiten der Welt zu leben…Dann wirft man sich Gott ganz in die Arme, dann nimmt man nicht seine eigenen Leiden ernst, sondern die Leiden Gottes in der Welt … Und so wird man ein Mensch, ein Christ (30).

C.S.

Noten

[1] Widerstand und Ergebung, S. 2 ; Ethik, S. 45.
[2] Widerstand und Ergebung, S. 13.
[3] Ibid., S. 13
[4] Ibid., S. 13.
[5] Der Admiral Canaris, der General von Hase, sein Bruder Klaus und seine beiden Schwager
[6] Widerstand und Ergebung, S. 14.
[7] Ibid., S. 15.
[8] Ibid., S. 17.
[9] Ibid., S. 19.
[10] Ethik
[11] Widerstand und Ergebung, S. 20-21.
[12] Ibid.
[13] Ibid., S. 22.
[14] Ibid., S. 23.
[15] Ibid., S. 22.
[16] Ibid.
[17] Ibid., S. 121.
[18] Ibid.,
[19] Widerstand und Ergebung, 19. März 1944, S. 121.
[20] Ibid.
[21] Ibid.
[22] Ibid.
[23] Ibid.  25. Mai 1944, S. 154.
[24] Ibid.
[25] Ibid.
[26] Widerstand und Ergebung, S. 121.
[27] Ibid., 21. August 1944, S. 196.
[28] Ibid., 25. Mai 1944, S. 155.
[29] Ibid., 8. Juli 1944, S. 174.
[30] Ibid., 21. Juli 1944 S. 183