Das Problem der Sündenvergebung
Warum war Jesu Tod durchaus unerlässlich? Konnte sich Gott nicht barmherzig zeigen, indem er die Sünden einfach vergab, ohne dass dieser Tod notwendig war? Anselm von Cantorbery, einem englischen Theologen des 11. Jhts zufolge (Cur Deus Homo? = Warum wurde Gott Mensch?), kann man den Vorgang der Vergebung nicht vereinfachen, indem man die Vergebung unter Menschen, für persönliche Kränkungen, mit der Vergebung Gottes, des Schöpfers der von uns übertretenen Gesetze, vergleicht.
Das Problem der Vergebung ist das Problem des Aufeinanderprallens der göttlichen Vollkommenheit mit der menschlichen Auflehnung, eines Gotts der Liebe mit einem heiligen und gerechten Gott, der uns richtet. Die Lösung finden wir am Kreuz, wo die Barmherzigkeit und die Gerechtigkeit Gottes in Einklang kommen.
Wie schlimm ist die Sünde?
Die Schrift bezeichnet die Sünde als eine Verletzung der Autorität und der Liebe Gottes, als eine Herausforderung an Gott, als ein Anspruch auf Unabhängigkeit. Sie ist auch eine Verweigerung, dem Ernst der Sünde konfrontiert zu werden, was zu ihrer Beseitigung aus dem Wortschatz führt, indem man sie durch vom Staat geahndetes Verbrechen oder durch Krankheit ersetzt. Die Sünde aber als Sünde anerkennen würde zum « Wiederaufwachen der persönlichen Verantwortung » führen.
Man beseitigt oder verharmlost die sittliche Verantwortung des Menschen mit allerhand äuβerlichen Faktoren: Vererbung, Erziehung, Gesellschaft, oder man bastelt sich einen verantwortungslosen, durch seine Umwelt vorausbestimmten Menschen zurecht. Demzufolge wäre die Gesellschaft an allem schuld.
Die gesetzliche Verantwortung hängt von der seelischen und sittlichen Verantwortung ab, die verharmlost werden kann (z.B. bei einem Kind oder einem geistig Behinderten), sowie von der Absicht und vom Willen. Schwächen der menschlichen Natur oder der Erziehung können aber nichts entschuldigen.
Die Bibel stellt das Vorhandensein einer Spannung fest zwischen dem, was uns bedingt – der Erbsünde – und unserer Fähigkeit, unsere sittliche Verantwortung zu übernehmen, die nie aufgehoben wird.
Verantwortung gehört zum menschlichen Wesen und wird durch den Sündenfall, durch das Dazwischenkommen der Erbsünde, nicht vermindert, denn der Mensch hat immer noch ein Mindestmaβ von Entschlusskraft.
Echte und falsche Schuld
Wir sind alle unverzeilich, denn wir wissen, was wir tun sollen und haben es nicht getan.
Römer 7.14-19
Es steht auβer Zweifel, dass das Gesetz von Got kommt. Aber wir sind schwache Menschen, als Sklaven an die Sünde verkauft. Deshalb sind wir in unserem Handeln nicht frei; wir tun nämlich nicht, was wir eigentlich wollen, sondern was wir verabscheuen.
Unser Gewissen ist jedoch auch nicht unfehlbar: es gibt ein falsches Schuldgefühl und auch ein falsches Unschuldgefühl, eine falsche Buβfertigkeit und eine falsche Vergebungsgewissheit.
Gottes Heiligkeit und Zorn
Sünde ist mit Gottes Heiligkeit unvereinbar, so wenig wie mit seinem Zorn, der seine Abscheu vor der Sünde, sowie seinen heftigen Widerstand gegen dieses Übel darstellt.
Das veranschaulicht die Schrift mit mehreren Bildern: die Erhabenheit oder Transzendenz, den Abstand, das Licht und das Feuer, das Erbrechen aus Ekel vor dem Ungehorsam des Volks Israel oder der Gemeinde zu Laodizäa.
Offenbarung 3.15-16
Ich kenne euer Tun. Ich weiβ, dass ihr weder warm noch kalt seid. Wenn ihr wenigstens eins von beiden wärt. Aber ihr seid weder warm noch kalt; ihr seid lauwarm. Darum werde ich euch aus meinem Mund ausspucken.
Wenn auch der Gott unserer Mitmenschen eher lax ist, müssen wir jede Überheblichkeit vermeiden und dürfen keine Stufen überspringen, während wir Christi Sühnewerk erklären. Wir müssen auf ein richtiges Ermessen achten, wie schlimm die Sünde und wie erhaben Gott ist.
Genugtuung für die Sünde
Die Begriffe Genugtuung und an jemandes Stelle treten verursachen viel Kritik.
Dem Teufel Genüge leisten?
In der Frühkirche glaubte man, dass der Teufel das Kreuz als Werkzeug seiner Niederlage unentbehrlich gemacht hatte. Für mehrere Kirchenväter ist der Teufel der Herr der Sünde und des Todes, sowie der gröβte Tyrann, von dem Jesus uns befreien wollte.
Drei Fehler müssen aufgedeckt werden:
– dem Teufel mehr Macht anerkennen, als er eigentlich hat,
– ihm gewisse “Rechte” auf den Menschen zusprechen;
– aus dem Kreuz einen Tauschhandel zwischen Gott und dem Teufel machen;
in diesem Vergleich sehen andere einen Schwindel (einen Köder, eine Falle).
John Stott räumt diesen Theorien ein gewisses Interesse ein, schlieβt aber jedes Geschäft und vor allem jeden Schwindel zwischen Gott und dem Teufel aus.
Dem Gesetz Genüge tun?
Dass Gott am Kreuz Genüge getan werden muss, kann man durch die Forderungen des Gesetzes erklären, wie sie in den fünf ersten Büchern des Alten Testaments und insbesondere im Dekalog (in den Zehn Geboten: 2. Mose 20.1-17; 5. Mose 5.6-21) geschildert werden.
Gott liebt die Sünder und möchte sie retten. Die durch das Gesetz erforderte Strafe wurde am Kreuz ausgeführt und so sind die Forderungen des Gesetzes erfüllt.
Für die lateinischen Kirchenväter des 4. Jhts wird die Befreiung vom Fluch des Gestzes durch Christus mit der Anwendung der gesetzlichen Strafe erklärt.
Galater 3.13
Christus hat uns von dem Fluch losgekauft, unter dem unser Leben stand, solange das Gesetz in Kraft war. Denn er hat den Fluch an unserer Stelle auf sich genommen. “Wer am Holz hängt, ist von Gott verflucht”, heiβt es im Gesetz.
Für die Reformatoren des 16. Jhts musste Jesus Christus sich unbedingt dem Gesetz unterwerfen, um uns seiner Verdammung zu entreiβen.
Wenn aber der Ungehorsam gegenüber Gottes sittlichen Gesetzen die Verdammung mit sich bringt, so kommt das nicht daher, dass Gott der Gefangene seiner Gestze wäre, sondern dass er deren Verfasser ist.
Gottes Ehre und Gerechtigkeit Genüge tun ?
In Cur Deus Homo ? verwirft Anselm die These der Väter eines Lösegelds: hier muss die Schuld des Menschen Gott gegenüber bezahlt werden.
Die einzige Person, die diese Genugtuung leisten konnte, musste notwendigerweise zugleich vollkommen Gott und vollkommen Mensch sein, da niemand, auβer einem wahren Gott, sie leisten konnte. Und niemand, auβer eienem echten Menschen, war gezwungen, es zu tun.
Die Reformatoren haben den Begriff der Rechtfertigung in Gott hervorgehoben, sowie die Unmöglichkeit, ein Erlösungsmittel zu erdenken, das seiner Gerechtigkeit nicht Genüge getan hätte.
Hugo Grotius (1583-1645) legte Nachdruck auf die Obkjektivitât des Kreuzes als einziges Mittel zur Erfüllung der Forderungen der Gerechtigkeit Gottes. Er legte auch groβen Wert auf die öffentliche Sittlichkeit unter ihren beiden Aspekten der Vorbeugung der Vergehen und der Einhaltung des Gesetzes.
Mehrere Theologen des 20. Jhts haben diese Vorstellung Gottes als “sittlicher Regent der Welt” an die Sühnelehre angewandt. Für Emil Brunner ist Sünde ein Ansturm auf die sittliche Weltordnung, die Gottes sittlichen Willen ausdrückt. Es besteht eine Analogie zwischen dem natürlichen und dem sittlichen Gesetz, wovon keins ungestraft verletzt werden kann.
Gott selbst Genüge leisten?
Die Schrift unterstreicht die völlige Kohärenz Gottes, der die Sünder strafen muss und zugleich sich selbst treu bleiben muss, und benutzt dazu den Wortschatz der Herausforderung, des Feuers und des Zorns. Sein Gericht ist unentrinnbar, weil es in der Heiligkeit seines Wesens verwurzelt ist und in vollem Einklang steht mit seinen Forderungen und seinem geoffenbarten Wesen.
N.B. Wörtliche uns annähernde Zitate von John Stott werden kursiv geschrieben.
Fortsetzung folgt
C. S.
Genugtuung